stern.gif (4483 Byte)  Schäfers Jurawelt
 
 

Entwurf
 
 
 
 

VERWALTUNGSGERICHT A

Im Namen des Volkes

Urteil











In der Verwaltungsrechtssache
 
 

B ./. Land C






wegen
 

baurechtlicher Entscheidung
 

hat die ... . Kammer des Verwaltungsgerichts A durch
 

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht D1

den Richter am Verwaltungsgericht D2

den Richter am Verwaltungsgericht D3

D4, D5 (ehrenamtliche Richter)
 

aufgrund mündlicher Verhandlung vom .......................................
 

für Recht erkannt:
 
 
 

Die baurechtliche Entscheidung des Landratsamtes E vom 22.08.1996 sowie der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums F vom 22.01.1997, soweit er die Ablehnung der Baugenehmigung betrifft, werden aufgehoben.
 

Das beklagte Land wird verpflichtet, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung zur Erstellung eines Viehstalles als Boxenlaufstall auf dem Grundstück Flst.-Nr. 133/1, 138, 139 und 140/1 der Gemarkung G zu erteilen.
 

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
 

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
 
 



Tatbestand:








Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung.
 

Der Kläger ist Haupterwerbslandwirt. Er bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 73 ha und Milchviehhaltung (35 Milchkühe) einschließlich weiblicher Nachzucht. Er beabsichtigt, auf seinem Anwesen im derzeit noch unbeplanten Innenbereich einen Viehstallneubau als Boxenlaufstall mit 47 Boxen und eine Dunggrube zu errichten. Der Boxenlaufstall soll sich an ein bereits bestehendes Wohnhaus und einen bereits vorhandenen, zum Umbau vorgesehenen Schweinestall anschließen, der künftig als Kälberstall dienen soll.
 

Am 10.10.1994 beantragte der Kläger bei der Verwaltungsgemeinschaft H die Erteilung einer Baugenehmigung für den Boxenlaufstall und die Dunggrube. Die Beigeladenen I (26.10.1994), J (25.04.1996), und die beigeladene Gemeinde (26.04.1996) brachten gegen das Vorhaben Einwendungen vor. Die angehörten Behörden erhoben keine Einwendungen. Das Amt für Landwirtschaft, Landschafts- und Bodenkultur H äußerte insbesondere keine Bedenken im Hinblick auf Geruchsimmissionen in der Nachbarschaft.
 

Am 07.11.1994 beschloß der Gemeinderat der beigeladenen Gemeinde die Aufstellung eines Bebauungsplanes für das Gebiet "Nui Baura", in dem auch die Grundstücke des klägerischen Bauvorhabens liegen. Hierin wird hauptsächlich Wohnbebauung vorgesehen. In derselben Sitzung des Gemeinderats wurde eine Veränderungssperre beschlossen und am 18.11.1994 bekanntgemacht.
 

Der Gemeinderat der beigeladenen Gemeinde verweigerte am 15.04.1996 zum Bauvorhaben des Klägers sein Einvernehmen. Die Verwaltungsgemeinschaft H lehnte das Baugesuch am 21.06.1996 ab. Wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit nahm die Verwaltungsgemeinschaft diesen Bescheid am 31.07.1996 zurück und legte den Bauantrag dem Beklagten vor. Dieser lehnte den Bauantrag mit Schreiben vom 22.08.1996, zugegangen am 04.09.1996, ab.
 

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 12.09.1996, eingegangen am 16.09.1996, Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig eine Befreiung von der Veränderungssperre. Der Gemeinderat der beigeladenen Gemeinde verweigerte am 04.11.1996 auch hierzu sein Einvernehmen und verlängerte die Veränderungssperre um ein weiteres Jahr. Mit Schreiben vom 04.12.1996, zugegangen am 30.12.1996, lehnte der Beklagte eine Befreiung von der Veränderungssperre ab. Auch hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 03.01.1997, eingegangen am 07.01.1997, Widerspruch ein. Das Regierungspräsidium F wies beide Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.1997, zugestellt am 06.02.1997, zurück.
 

Am 04.03.1997 hat der Kläger Klage erhoben.
 

Der Kläger trägt vor, er habe einen Anspruch auf eine Baugenehmigung für den Viehstallneubau mit Dunggrube, da dieses Vorhaben formell und materiell zulässig sei. Die Gemeinde hätte ihr Einvernehmen zu diesem Vorhaben nicht versagen dürfen. Das Bauvorhaben sei als für ein Dorfgebiet ortsüblich hinzunehmen und füge sich ohne weiteres nach seiner Eigenart in die nähere Umgebung ein. Die Betriebsgröße bewege sich noch im Rahmen des in der Landwirtschaft inzwischen Üblichen. Die Veränderungssperre sei als nichtig anzusehen, da sie in dem vorliegenden Gebiet zu einer Einschränkung der Entwicklungsmöglichkeiten des Klägers führe und zur Zeit ihres Erlasses der Inhalt der beabsichtigten Planung noch in keiner Weise abzusehen gewesen sei. Im übrigen verhalte sich die Gemeinde widersprüchlich.
 

Der Kläger beantragt,
 

die baurechtlichen Entscheidungen des Landratsamtes E vom 22.08.1996 und 04.12.1996 sowie den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums F vom 22.01.1997 aufzuheben und
 

das beklagte Land zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung zur Erstellung eines Viehstalles als Boxenlaufstall auf dem Grundstück Flst.-Nr. 133/1, 138, 139 und 140/1 der Gemarkung G zu erteilen,
 

hilfsweise,
 

unter Aufhebung der o.g. Bescheide das beklagte Land zu verpflichten, über den Bauantrag des Klägers erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
 

Der Beklagte beantragt,
 

die Klage zurückzuweisen.
 

Der Beklagte trägt vor, die Ablehnung des Bauantrags und des Antrags auf Befreiung von der Veränderungssperre seien rechtmäßig, da die beigeladene Gemeinde in beiden Fällen ihr Einvernehmen verweigert hat.
 

Die Kammer hat mit Beschluß vom 06.03.1997 die Gemeinde, und mit Beschluß vom 25.02.1998 die Beigeladenen zu 2 und 3 beigeladen.
 

Der Kammer lagen die einschlägigen Behördenakten vor. Diese sowie die Gerichtsakten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
 
 



Entscheidungsgründe:








Die Klage ist zulässig. Sie ist auch begründet, soweit die Erteilung einer Baugenehmigung begehrt wird (I). Soweit die Versagung der Befreiung von der Veränderungssperre angegriffen wird, ist die Klage unbegründet (II).(1)
 

I. Die beantragte Baugenehmigung ist zu erteilen, da deren Versagung rechtswidrig, der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt und die Sache spruchreif ist, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Der Kläger hat nämlich einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach §§ 77 Abs. 1 S. 2 LBO 1996, 59 Abs. 1 S. 1 LBO 1984.
 

A. Die formellen Voraussetzungen sind gegeben. Der Kläger hat einen diesbezüglichen Antrag gestellt, der durch die Vorlage durch die Verwaltungsgemeinschaft H ans Landratsamt E auch an die gemäß §§ 77 Abs. 1 S. 1 LBO 1996, 50 Abs. 2 HS. 2 LBO 1984, 28 Abs. 2 Nr. 1 GKZ zuständige Baurechtsbehörde gelangt ist. Eine abweichende Zuständigkeit ergibt sich auch für die Dunggrube nicht aus § 98 Abs. 2 S. 1 WG, da mangels Einleitens von Stoffen in das Grundwasser keine Benutzung i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 5 WHG vorliegt und somit keine wasserrechtliche Erlaubnis bzw. Bewilligung nach §§ 2, 7, 8 WHG erforderlich ist.
 

B. In materieller Hinsicht sind Boxenlaufstall und Dunggrube nach §§ 77 Abs. 1 LBO 1996, 51 Abs. 1 LBO 1984 genehmigungsbedürftig. Das Bauvorhaben ist aber genehmigungsfähig, da ihm weder eine Veränderungssperre (1), noch die Vorgaben des § 34 BauGB für Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (2), noch die Abstandsvorschriften (3) oder immissionsschutzrechtliche Vorschriften (4) entgegenstehen.
 

1. Eine Veränderungssperre nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB für das Baugebiet "Nui Baura" steht dem Bauvorhaben des Klägers nicht entgegen. Der Beklagte hat nicht geltend gemacht, die zum 18.11.1997 außer Kraft getretene Veränderungssperre sei nochmals verlängert oder neu erlassen worden (a). Dies wäre rechtlich auch gar nicht möglich gewesen und hätte zur Nichtigkeit der Veränderungssperre geführt (b).
 

a. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kann die Gemeinde, wenn ein Beschluß über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefaßt ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt beschließen, daß Bauvorhaben nicht durchgeführt werden dürfen.
 

Bei Verpflichtungsklagen ist die letzte mündliche Verhandlung maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtslage. Zu diesem Zeitpunkt war die Veränderungssperre ausgelaufen. Die Veränderungssperre war ursprünglich am 18.11.1994 in Kraft getreten und wurde vor Verstreichen der zweijährigen Gültigkeitsdauer, § 17 Abs. 1 S. 1 BauGB, durch Gemeinderatsbeschluß der beigeladenen Gemeinde am 04.11.1996 gemäß § 17 Abs. 1 S. 3 BauGB um ein Jahr verlängert. Somit trat die Veränderungssperre zum 18.11.1997 außer Kraft. Eine nochmalige Verlängerung um ein weiteres Jahr durch die beigeladene Gemeinde gemäß § 17 Abs. 2 BauGB, die der Zustimmung des Landratsamtes E bedurft hätte, § 2 Nr. 1 DVO BauGB, wurde vom Beklagten nicht vorgetragen. Gleiches gilt für einen erneuten Erlaß durch die Gemeinde nach § 17 Abs. 3 BauGB, die der Zustimmung des Regierungspräsidiums F bedurft hätte.
 

c. Verlängerung oder Neuerlaß wären aus rechtlichen Gründen auch gar nicht möglich gewesen. Die Veränderungssperre, die als Satzung beschlossen wird, § 16 Abs. 1 BauGB, wäre in diesem Falle als Rechtsnorm nichtig. Es liegen nämlich keine besonderen Umstände vor, die eine Verlängerung oder einen Neuerlaß rechtfertigen würden.
 

Für die Verlängerung ist das Tatbestandsmerkmal der besonderen Umstände in § 17 Abs. 2 BauGB ausdrücklich enthalten. Doch auch eine die zweite Verlängerung ersetzende Erneuerung ist nach dem BVerwG nur bei Vorliegen besonderer Umstände statthaft (BVerwG, Urt. v. 10.09.1976 - 4 C 39.74 - BVerwGE 51, 121, 136 f.). Dies erklärt sich daraus, daß andernfalls die engeren Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verlängerung nach § 17 Abs. 2 BauGB durch einen Neuerlaß nach § 17 Abs. 3 BauGB umgangen werden könnten.
 

Besondere Umstände sind nur dann anzuerkennen, wenn sie durch die außergewöhnlichen Schwierigkeiten der konkreten Planung selbst begründet sind. Hierzu zählen etwa wesentliche rechtliche Zweifelsfragen, z. B. hinsichtlich der Zulässigkeit bestimmter Festsetzungen. Ergeben sich aus der Schwierigkeit der Bewältigung planerischer Probleme und der Auswirkungen der Planung auf die zu Beteiligenden zeitlich aufwendige Abstimmungs- und Beteiligungsverfahren, stellen diese besondere Umstände dar. Doch auch in diesen Fällen muß die Gemeinde alle ihr zu Gebote stehenden planerischen und organisatorischen Möglichkeiten ausschöpfen, so daß das Planverfahren zügig durchgeführt werden kann. Keine besonderen Umstände ergeben sich daraus, daß ersichtlich eine kommunalpolitische "Entscheidungsschwäche" mit der Folge des Hinauszögerns kommunalpolitisch schwieriger Entscheidungen zu nicht nur unwesentlichen Verzögerungen geführt hat (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Bd. 2, 56. Lfg. Juni 1997, § 17 BauGB Rdn. 11 m. w. N.).
 

Vorliegend läßt sich die Verzögerung der Planaufstellung nicht mit außergewöhnlichen Problemen der Planung selbst begründen. Die Beplanung des Baugebiets "Nui Baura" weist keinerlei besonderen Schwierigkeiten auf. Das Nebeneinander von Landwirtschaftsbetrieben und Wohnbebauung tritt in nahezu jeder ländlichen Gemeinde auf. Der entstehende Nutzungskonflikt muß und kann von den Gemeinden in überschaubarer Zeit gelöst werden. Die Organe der beigeladenen Gemeinde zögerten, ob sie der Landwirtschaft oder der Wohnbebauung den Vorzug geben sollten. So unterstützte der Bürgermeister am 02.12.1994 im Amtsblatt der Gemeinde die Forderung nach Intensivierung der Landwirtschaft im Baugebiet "Nui Baura" und wurde auf der Gemeinderatssitzung am 12.12.1994 eine Bauvoranfrage zur Erstellung eines Mastschweinestalles auf einem Gemeindegrundstück beraten. Jedenfalls hat die beigeladene Gemeinde nicht alle ihr zu Gebote stehenden planerischen und organisatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft, das Planverfahren zügig voranzubringen. Denn seit dem Planaufstellungsbeschluß vom 07.11.1994 wurde das Aufstellungsverfahren soweit ersichtlich nicht weiter betrieben. Weder wurde eine Bürgerbeteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB durchgeführt, noch wurde der Entwurf nach § 3 Abs. 2 BauGB öffentlich ausgelegt. Besondere Umstände, die eine Verlängerung oder Erneuerung der Veränderungssperre rechtfertigen würden, liegen somit nicht vor.
 

2. Das Bauvorhaben des Klägers wird auch den Anforderungen nach § 34 BauGB gerecht. Das klägerische Grundstück liegt im unbeplanten Innenbereich, da trotz einer größeren Baulücke in alle Himmelsrichtungen Bebauung anschließt. Seiner Art nach ist das Vorhaben zulässig, weil es sich bei seiner näheren Umgebung um ein Dorfgebiet handelt (a). Auch nach seinem Maß und der überbauten Grundstücksfläche fügt es sich in seine nähere Umgebung ein (b).
 

a. Nach § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit eines Vorhabens innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nach seiner Art allein danach, ob es nach der BauNVO in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete entspricht, die in der BauNVO bezeichnet sind. Die nähere Umgebung des Bauvorhabens ist als Dorfgebiet i. S. d. § 5 Abs. 1 BauNVO zu qualifizieren. Ausweislich des Bebauungsplanentwurfs befinden sich dort vorwiegend Wohnhäuser, Stallungen und Scheunen, einige Betriebsgebäude und eine Gastwirtschaft. Auch in der öffentlichen Bekanntmachung zur Aufstellung des Bebauungsplanes "Nui Baura" sind die bestehenden Gebäude auf dem klägerischen Grundstück und die angrenzenden Grundstücke mit "MD" für Dorfgebiet (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO) dargestellt. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO sind im Dorfgebiet Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe allgemein zulässig. Um eine solche handelt es sich bei dem geplanten Viehstall.
 

Der Art der baulichen Nutzung kann auch § 15 Abs. 1 BauNVO nicht entgegengehalten werden. Hieraus können sich zwar grundsätzlich Beschränkungen hinsichtlich solcher Vorhaben ergeben, die nach ihrer Anzahl der Eigenart des Baugebiets widersprechen, weil sie zu einem "Umkippen" etwa eines Mischgebiets in ein allgemeines Wohngebiet führen würden (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger-Söfker, § 34 BauGB Rdn. 80). Vorliegend ist aber nicht zu befürchten, daß das bestehende Dorfgebiet durch das Bauvorhaben des Klägers in ein rein landwirtschaftlich genutztes Gebiet umkippen würde.
 

b. Das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, beurteilen sich nach § 34 Abs. 1 BauGB (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 5. Aufl. 1996, § 34 BauGB Rdn. 46). Das Vorhaben muß sich diesbezüglich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen (aa), und das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden (bb). Das klägerische Bauvorhaben wird diesen Anforderungen gerecht.
 

aa. Das Tatbestandsmerkmal des Sich-Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB ist eine Ausprägung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme. Das Gebot der Rücksichtnahme verlangt eine Abwägung der Belange aller betroffenen Personen. Fällt diese Abwägung zugunsten der Umgebung aus, muß der Bauherr hierauf Rücksicht nehmen. Vom Bauherr kann umso mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit seinem Vorhaben verfolgten Interessen sind. Die hierbei vorzunehmende Interessenabwägung hat sich an dem Kriterium der Unzumutbarkeit auszurichten. Das Gebot der Rücksichtnahme ist verletzt, wenn dem Betroffenen die nachteilige Einwirkung des streitigen Bauwerks billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann (BVerwG, Urt. v. 13.03.1981 - 4 C 1.78 - BauR 1981, 354, 356).
 

Ein Vorhaben, das sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, fügt sich in der Regel in seine Umgebung ein (BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369, 386). Dieser Rahmen bestimmt sich nach der vorhandenen Bebauung, soweit sich das Bauvorhaben auf diese auswirken kann und die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt. Dies ist der Fall, wenn ein optischer und räumlicher Bezug zwischen der vorhandenen Bebauung und dem Bauvorhaben besteht (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 20.09.1989 - 8 S 2738/88 - VBlBW 1990, 189).
 

(1) Das klägerische Bauvorhaben fügt sich hinsichtlich der zu erwartenden von ihm ausgehenden Emissionen in seine nähere Umgebung ein.
 

Das Vorhaben liegt in einer Gemengelage. Gemengelagen sind Gebiete mit mehr oder weniger engem Nebeneinander von unterschiedlichen Nutzungen, die sich gegenseitig beeinträchtigen, wie etwa Wohnbebauung und Landwirtschaft (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger-Söfker, § 34 BauGB Rdn. 52). Das Gebot der Rücksichtnahme gebietet für beide Seiten, gewisse Einschränkungen hinzunehmen, die in reinen Wohn- bzw. landwirtschaftlichen Gebieten nicht bestehen. Wer sich in eine Gemengelage hineinbegibt, muß bei seinem Bauvorhaben auf die spezifische städtebauliche Situation Rücksicht nehmen. Andererseits ist in Baugebieten mit dörflichem Charakter eine gewisse Geruchs- und Lärmbelästigung durch Nutztiere ortsüblich und darum wegen des Gebots der Rücksichtnahme hinzunehmen. Diese Feststellung gilt nicht nur für die Tierhaltung in herkömmlichen Viehställen, sondern auch für die Massentierhaltung, soweit diese nicht mit höheren Emissionen verbunden ist (Brügelmann, Baugesetzbuch, Bd. 2, 34. Lfg. April 1997, Bearb.: Dürr, § 34 BauGB Rdn. 33 f.).
 

Eine mögliche zukünftige Bebauung der Nachbargrundstücke mit Wohnhäusern muß bei der Beurteilung, ob sich das klägerische Vorhaben nach dem Maß der Nutzung in die nähere Umgebung einfügt, außer Betracht bleiben. Künftige bauliche Entwicklungen können nur begrenzt berücksichtigt werden, etwa wenn sich diese bereits in der vorhandenen Bebauung niedergeschlagen haben. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß bloß beabsichtigte aber weder genehmigte und noch nicht errichtete Bauvorhaben unberücksichtigt bleiben; das gleiche gilt grundsätzlich auch für genehmigte, aber noch nicht errichtete Bauvorhaben (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger-Söfker, § 34 BauGB Rdn. 35). Andernfalls bekäme der Nachbar ein Mittel in die Hand, durch Absichtserklärungen Einfluß auf die Bebaubarkeit von Grundstücken in seiner Umgebung zu nehmen. Dadurch würde die Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB mit Unsicherheiten belastet. Die vorhandene Umgebungsbebauung bestimmt den Gebietscharakter und gibt als Planersatz auch den Maßstab für den Umfang der hinzukommenden baulichen Nutzung. Soll sich die Zulässigkeit neuer Vorhaben nach einem anderen Maßstab richten, so muß die Gemeinde hierfür im Wege der Bauleitplanung die erforderlichen Grundlagen schaffen. Das Interesse der Gemeinde, Planungsmöglichkeiten offenzuhalten, kann die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 BauGB nicht ausschließen (BVerwG, Urt. v. 14.01.1993 - 4 C 19.90 - NVwZ 1993, 1184, 1186; BVerwG, Urt. v. 18.02.1983 - 4 C 18.81 - BVerwGE 67, 23, 31 f.).
 

Für die emittierenden Betriebe gilt, daß sie insbesondere auf benachbarte Wohnnutzungen Rücksicht zu nehmen haben. Für die letztlich zu entscheidende Frage der Zumutbarkeit von Beeinträchtigungen sind Vorbelastungen an Immissionen zugunsten des Vorhabens in Rechnung zu stellen: Hält sich das Vorhaben im Rahmen der gegebenen Vorbelastung, nimmt es grundsätzlich die gebotene Rücksicht auf seine Nachbarschaft, es sei denn, die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sind nicht gewahrt (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger-Söfker, § 34 BauGB Rdn. 53).
 

Das Amt für Landwirtschaft, Landschafts- und Bodenkultur H hat in seiner Stellungnahme im Rahmen der Behördenanhörung errechnet, daß der durch die bestehende Schweinehaltung vorgegebene Emissionsabstand bei einer Bestandsgröße von 118 Milchkühen ausgeschöpft wird. Die Behörde hat hierbei für die genehmigte Schweinehaltung unter Anwendung der VDI-Richtlinie 3471 bei 15,08 anrechenbaren Schweine-GV einen Mindestabstand zur nächstgelegenen Wohnbebauung von ca. 68 Metern im Dorfgebiet (auf 50 % reduzierter Wert) errechnet und darauf hingewiesen, daß die tatsächlichen Abstände bereits seither geringer sind. Sodann wurde unter Anwendung der bislang im Entwurf vorliegenden VDI-Richtlinie 3473 für die Rinderhaltung der Rindviehbestand mit Hilfe von Faktoren, die die Geruchsäquivalenzverhältnisse zu Mastschweinen ausdrücken, bewertet. Es wurde unterstellt, daß der neue Stall so ausgerüstet und betrieben wird, daß er mit der Höchstpunktzahl von 100 Punkten bewertet werden kann. Hieraus ergab sich, daß der vorgegebene Emissionsabstand bei 118 Milchkühen ausgeschöpft wird. Die genannten VDI-Richtlinien beruhen auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener Fachgebiete und stellen daher einen geeigneten Orientierungsrahmen dar (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.10.1992 - 8 S 1408/89 - NVwZ 1993, 1217, 1218). Die Kammer schließt sich der Berechnung des Amts für Landwirtschaft, Landschafts- und Bodenkultur H an.
 

Der beantragte Viehstallneubau überschreitet gemessen an seinen Dimensionen einen Bestand von 118 Milchkühen voraussichtlich nicht. Das Staatliche Veterinäramt E hat darauf hingewiesen, daß die Liegeboxen mit maximal 47 Milchkühen belegt werden dürfen, da aus Tierschutzgründen das Zahlenverhältnis von Tieren zu Liegeboxen von 1:1 grundsätzlich nicht überschritten werden sollte. Auch unter Berücksichtigung der Fläche für Jungvieh entlang der südlichen Gebäudewand dürfte ein Wert von 118 Milchkühen nicht überschritten werden. Bei Aufnahme derartiger Nebenbestimmungen in die Baugenehmigung gemäß § 36 Abs. 1 LVwVfG ist daher zu erwarten, daß die Geruchsbelästigungen für die Nachbarn gegenüber der bestehenden Situation nicht zunehmen werden. Das klägerische Bauvorhaben fügt sich daher bezüglich der zu erwartenden Emissionen in die bestehende Bebauung ein.
 

(2) Auch im übrigen fügt sich das Vorhaben nach seinen baulichen Dimensionen, insbesondere nach der überbauten Grundstücksfläche, i. S. d. § 34 Abs. 1 BauGB in seine nähere Umgebung ein.
 

Hierbei ist in erster Linie auf solche Maße abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und an Hand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschoßzahl und Höhe prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung an. Die relativen Maßstäbe - die Grundflächen- und die Geschoßflächenzahl - haben nur eine untergeordnete oder, je nach Umständen des Einzelfalls, auch gar keine Bedeutung für die Frage des Einfügens, weil sie in der Örtlichkeit nur schwer ablesbar sind, vielmehr erst errechnet werden müssen (BVerwG, Urt. v. 23.03.1994 - 4 C 18.92 - ZfBR 1994, 190, 190; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger-Söfker, § 34 BauGB Rdn. 40 f.).
 

Der Viehstallneubau hat nur ein Geschoß und ist 7,20 Meter hoch. Damit hält er nach Geschoßzahl und Höhe den Rahmen der umgebenden Bebauung ein. Bezüglich der Grundfläche überschreitet das Bauvorhaben den vorgegebenen Rahmen jedoch nicht unerheblich. Der Neubau ist über 38 Meter lang und bildet mit dem bestehenden Altbau eine Fassade von 48 Metern Länge. Die Breite des Bauvorhabens beträgt 21,50 Meter. Das den vorgegebenen Rahmen nach oben begrenzende Stallgebäude Stammstraße 9 ist hingegen nur rund 40 Meter lang und 11 Meter breit. Diese Abweichung vom vorgegebenen Rahmen kann nicht mehr als geringfügig bezeichnet werden.
 

Ein Vorhaben darf den gegebenen Rahmen jedoch überschreiten, sofern es sich dennoch in die Umgebung einfügt. Das Gebot des Einfügens soll nicht als starre Festlegung auf den gegebenen Rahmen allen individuellen Ideenreichtum blockieren; es zwingt nicht zur Uniformität. Bei der Einfügung geht es weniger um Einheitlichkeit als um Harmonie (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369, 386). Es ist zu prüfen, ob durch das Bauvorhaben bodenrechtlich beachtliche Spannungen in das Gebiet getragen oder gegebene Spannungen erhöht werden, ob die gegebene Situation verschlechtert, gestört, belastet, in Bewegung gebracht wird. Hieraus kann sich ein Planungserfordernis ergeben, das für die Frage des Einfügens allerdings nur indizielle Bedeutung hat (BVerwG, Urt. v. 19.09.1986 - 4 C 15.84 - ZfBR 1987, 44, 46 f.). Hierbei kommt es auf die konkrete Beziehung des Vorhabens zu seiner Umgebung, also auf die Wirkungen eines Vorhabens in der konkreten Umgebung an (Battis/ Krautzberger/Löhr, § 34 BauGB Rdn. 20). Ob das Bauvorhaben noch in einer harmonischen Beziehung zur vorhandenen Bebauung steht, beurteilt sich etwa danach, ob es die Verkehrs- und Erschließungsprobleme vergrößert und ob es vom optischen Eindruck noch hingenommen werden kann (BVerwG, Urt. v. 17.06.1993 - 4 C 17.91 - NVwZ 1994, 294, 295).
 

Bei der gebotenen Abwägung der Interessen des Bauherrn und der Nachbarn ist eine gewerbliche Tierhaltung besonders zu berücksichtigen. Diese steht unter dem Schutz des Art. 12 GG, so daß ihr bei der im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme erforderlichen Interessenabwägung ein höherer Stellenwert einzuräumen ist als einer anderen Zwecken dienenden Tierhaltung, die lediglich durch Art. 2 GG geschützt wird (Brügelmann-Dürr, § 34 BauGB Rdn. 34).
 

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien kann ein Einfügen auch bezüglich der baulichen Dimensionen des klägerischen Bauvorhabens bejaht werden. Der Kläger ist Landwirt und als solcher zur wirtschaftlichen Sicherung seines Betriebes auf eine Erweiterung seiner Kapazitäten angewiesen. Der Viehstallneubau kann auch vom optischen Eindruck noch hingenommen werden.(2) In unmittelbarer Nähe des Vorhabens befindet sich in der Stammstraße 9 ein anderes Stallgebäude, das zur Straßenfront hin eine Länge von rund 40 Metern besitzt. Die geringere Breite des bestehenden Stallgebäudes ist von der Straße aus kaum einsehbar. Insofern stellt das klägerische Bauvorhaben in seiner näheren Umgebung nichts völlig neues dar. Gleichzeitig wird durch die rechtwinklige Anordnung von bestehendem Stallgebäude und Bauvorhaben aber ein "Erdrücktwerden" der übrigen Gebäude vermieden. Diese Wirkung ist auch deshalb nicht zu erwarten, weil das Bauvorhaben mit 7,20 Metern nur eine durchschnittliche, mit einem zweigeschossigen Wohnhaus vergleichbare Gebäudehöhe erreicht.
 

bb. Das Ortsbild, § 34 Abs. 1 S. 2 HS. 2 BauGB, wird durch das klägerische Bauvorhaben gleichfalls nicht beeinträchtigt. Dies ergibt sich aus dem soeben gesagten.
 

3. Die Abstandsflächen des Viehstallneubaus zu den Nachbargrundstücken, die 2,50 Meter tief sein müssen, §§ 77 Abs. 1 S. 2, 5 Abs. 4 und 7 S. 1 Nr. 2, S. 2 LBO 1996, wurden eingehalten. Für die Dunggrube gelten mangels Wand oberhalb der Geländeoberfläche keine Abstandsflächen.
 

4. Aus § 22 BImSchG, der mangels immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsbedürftigkeit anstelle von § 5 BImSchG anwendbar ist, ergeben sich gegenüber dem Einfügensgebot nach § 34 Abs. 1 BauGB keine weitergehenden Anforderungen.
 

II. Die Versagung einer Befreiung von der Veränderungssperre war hingegen nicht rechtswidrig, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Weder diente der Aufstellungsbeschluß des Bebauungsplans "Nui Baura" ersichtlich nur dem Zweck, das Bauvorhaben des Klägers zu verhindern, noch war das Ermessen des Beklagten zur Erteilung einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB auf Null reduziert, da im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 22.01.1997) weiterhin mit einem Beschluß über den Bebauungsplan gerechnet werden konnte.
 

Aus diesen Gründen war dem Verpflichtungsantrag stattzugeben und der Anfechtungsantrag abzuweisen, soweit die Aufhebung der Entscheidung über eine Befreiung von der Veränderungssperre begehrt wurde.
 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Dem Kläger ging es ersichtlich um die Erteilung einer Baugenehmigung; der Antrag auf Aufhebung der Entscheidung über eine Befreiung von der Veränderungssperre tritt demgegenüber in den Hintergrund. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO selbst, da sie nicht durch die Stellung eigener Anträge ein Kostenrisiko eingegangen sind (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
 

Das Gericht macht von dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch und sieht von einer Erklärung der vorläufigen Vollstreckbarkeit gemäß § 167 Abs. 2 VwGO ab.
 
 
 

Rechtsmittelbelehrung:

Antrag auf Zulassung der Berufung, § 124 Abs. 1 VwGO

Streitwert: 60.000,-- DM (vgl. Ziff. 7.1.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 1996, 563).
 
 
 
 
 

gez. D1 gez. D2 gez. D3
 
 

1) Ist die Veränderungssperre nicht verlängert worden, wäre die diesbezügliche Anfechtungsklage wegen zwischenzeitlichem Außerkrafttreten zum 18.11.1997 mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig, da sich der Verwaltungsakt diesbezüglich erledigt hätte. Hierzu hat ein richterlicher Hinweis nach § 86 Abs. 3 VwGO zu erfolgen. ZURÜCK

2) Es empfiehlt sich hier die Durchführung eines Ortstermins. ZURÜCK
 

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